„Farbenfroh“ / „Die Stadtteilzeitung“

von Eva Schlichenmaier-Schenk
Ausgabe Nr. 189 – März 2022
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Gespräch mit dem Künstler und Wissenschaftler Professor Axel Venn in seinem Atelier in Friedenau von Eva Schenk

Die Malgruppe „Avanti Dilettanti“ des Nachbarschaftshauses war bei Axel Venn, dem Künstler und Professor für Farben eingeladen. Wir wollten uns informieren über die Farbe Blau, das Thema unserer Ausstellung im Nachbarschaftshaus im März und April.

Axel Venn arbeitet seit Jahrzehnten auf dem Fachgebiet der Farbe. Als Wissenschaftler berät er Unternehmen, die weltweit tätig sind, im Einsatz der Farben in der Industrie im Verkauf und der Produktion. So hat er beispielsweise Farbkonzept e für den Drogeriemarkt dm und Lufthansa entwickelt. E r schrieb viele Bücher, um unser Wissen über Farben zu erweitern und seine Forschungsergebnisse öffentlich zu teilen.

Als freier Künstler verknüpft Axel Venn Kunst und Wissenschaft. Er malt bezaubernde Bilder mit Farblandschaften, durch die wir in unsere r Fantasie streifen können. Einerseits lässt er sich in der Wahl der Farben von seinen Gefühlen und Emotionen steuern, andererseits möchte er hinter den Einsatz seiner Farben schauen und wissen, welche Motive hinter der Farbwahl stecken. In seinen Farbforschungen steht das Bedürfnis der Suche nach Wahrheit.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Irreale wichtiger ist als alles andere und wir müssen zwischen Gefühl (unangenehm oder angenehm) und Empfindung (kalt oder warm) unterscheiden. Aus der Empfindung kommt das tiefere Gefühl. Warum kaufen Menschen etwas? Es ist nicht die Vernunft, die entscheidet, sondern das Gefühl. Man tut vieles aus reiner Unvernunft, denn unsere Gefühle sind älter als das Wissen. Welche Farbe hat das Auto, das wir kaufen? Wie muss der Kaffee verpackt sein, den wir nach Hause nehmen? Wie fasst er sich an, wie riecht er? Farben sind viel entscheiden der als wir denken.

Welche Farbe hat Innovation? Das war zum Beispiel eine seiner Untersuchungsfragen. Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Axel Venn gab 55 Menschen, Frauen und Männern, die Aufgabe, ihre Vorstellungen in kleinen quadratischen Farbbildern darzustellen. Alle bekamen den gleichen Farbkasten, alle ein Quadrat auf einem weißen Blatt die gleiche Hausaufgabe, die Vorstellung von Innovation in Form und Farbe darzustellen. N ach einer Woche sammelt e er die Ergebnisse ein. Wie unterscheiden sich die Vorstellungen von Kunden, dem Verkaufspersonal und den Produzenten? Wie unterscheiden sich die Ergebnisse von Männern und Frauen? In welcher Formensprache und in welcher Farbensprache stellen die Menschen ihre Vorstellungen vor? Was bedeutet das Ergebnis für die farbliche Gestaltung von Produkten? Seine Forschungsergebnisse sind in seinen Büchern nachzulesen.

Untersuchungen hat er in mehreren Ländern durchgeführt. Die Ergebnisse ähneln sich, selbst in China. Venn meint, in der Frage der Innovation orientieren sich alle Länder bis heute an den europäischen Farben. Die Farbe Blau ist kaum dabei, obwohl 40 % der Menschen sagen, ihre Lieblingsfarbe sei Blau.

Wie kommt es zu Trendfarben? Die Modeindustrie setzt die Trends, die Menschen lieben das Spiel mit den Trendfarben und brechen doch immer wieder aus den Trendfarben aus, weil sie die Abwechslung lieben. Trends wiederholen sich, zurzeit beobachtet er, dass sich fast alle jungen Menschen in Grau einrichten. Ihre Wohnungen orientieren sich an ihren Büros. Was kommt nach Grau? Ist das Rot im Kommen? Trends sind schnelllebig, aber die Qualität der Farbe bleibt.

Wir besichtigten das Atelier und bewunderten die gestrafften Leinwände, die sauber aufgetragenen Ölfarben, die sorgfältig gestalteten Oberflächen. Oft verwischt Venn die Ölfarbe mit den Händen, weil er die sinnliche Wahrnehmung der Farbe liebt und das geht für ihn am besten mit den Händen. Er meint, Kunst sei etwas sehr Persönliches und man solle für das Überdauern malen unsere Gesellschaft müsse lernen, sich in allen Aktivitäten am Überdauernden zu orientieren. Es ist angenehmer, in einem alten Haus mit beständigen Materialien zu leben als in einem schnell gebauten und schnell wieder abrissreifen Gebäude.

Gerade arbeitet der Künstler Axel Venn mit seiner Tochter an einem gemeinsamen Projekt. Seine Tochter gestaltet die Untergründe, der Vater bearbeitet die Oberflächen mit feinen Strichen. Gemeinsam machen sie den Gestaltungsprozess sichtbar. Im Ergebnis gibt es spannende Bilder in fantastischen Farbspielen.

Uns hat fasziniert zu sehen, wie sich Axel Venn im Wechsel vor drei seiner Bilder stellte. Ein Bild war blau, eines rosa und eines grün. Vor jedem Bild stand für uns Betrachter ein anderer Mann. Er lieferte damit einen überzeugenden Beweis, wie die Farbe n unsere Gefühle unsere Wahrnehmung und Interpretation steuern.

Am Ende unseres Gesprächs plädierte Axel Venn für die Abstraktion, die uns von Zwängen befreit und das Klügste sei, was die Maler erfunden haben, um die Welt unter anderen Vorstellungen zu erfahren. Er verwies auf Paul Cassirer, den visionären Kunsthändler, der um 1900 den Impressionismus nach Berlin brachte und damit die Moderne aus Frankreich nach Deutschland. Kunst ist mehr als die Wiedergabe der Wirklichkeit, Malerei schafft eine neue Definition. Ich glaube, auch er versucht uns zu einem lebendigen Kunstverständnis zu führen.

Das Gespräch mit Axel Venn hat uns Impulse zum Malen und zur Betrachtung von Kunst gegeben und viel Stoff zum Nachdenken geliefert. Wir empfehlen allen Liebhabern der Malerei und der Farben einen Besuch in seinem Atelier in der Gosslerstraße 10 in Friedenau